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Ungleichzeitigkeit und Unmittelbarkeit: Eine Utopie des Sounds
In den vergangenen zwei Jahrzehnten konnte in bezug auf die kulturelle Sensibilisierung für Sound, Geräusch und Klang ein bemerkenswerter Boom beobachtet werden – ein Sonic Boom, im doppelten Sinne von Schnallknall, also Durchbruch und Konjunktur für das Sonische. So wird in der Bildenden Kunst einerseits das Verhältnis zu Sound als Gestaltungsmittel, andererseits das zur seit den 60er Jahren entstandenen Sound-Art neu kalibriert. Die durch die Konjunktur intermedialer Installation neu aufgeworfene Frage nach dem Raum in der Bildenden Kunst wird immer häufiger anhand von Klangexperimenten gestellt. Die Pop-Musik hat ihr spezifisches Verhältnis zu Sound als ihren primären Materialbezug erkannt und in das Zentrum selbstreflexiver Projekte gestellt. Das Alltagsleben ist durch individuelle und ausgestellte Soundkennungen - Klingeltöne, Handymusik, Klanginstallationen im öffentlichen Raum etc.- zu einem Schauplatz ständiger sonischer Semiosen geworden. Keine Frage, dass Corporate Sound Design auf der einen Seite und eine an Sound-Logos orientierte Produkt / Markenwerbung andererseits längst auf diese neuen Zeichensysteme reagiert haben. Im Film ist das Eigenleben der Soundspur - durch eine dem Tempo des Geschehens oder der Struktur der Montage gegenläufige Gestaltung von Geräuschen und Klängen, aber auch durch die Orientierung an bereits existierender Musik, an kulturellen Resonanzen jenseits der Immanenz des Films - in den letzten Jahren immer deutlicher herausgearbeitet geworden und hat das Mainstream-Kino als geläufiges Gestaltungsmittel erreicht.
Das offizielle Kulturleben hat als Antwort auf diese neue Konjunktur des Sonischen eine Reihe von Groß-Ausstellungen inszeniert, wie Sonic Process (Centre Pompidou, Paris 2002), Frequenzen: Audiovisuelle Räume (Schirn Kunsthalle, 2002), Sonic Boom (Hayward Gallery 2003), Phonorama: Eine Kulturgeschichte der Stimme als Medium (ZKM 2004), Bring The Noise (Genf 2000), Invisible Geographies (The Kitchen, New York City), die Sonambiente-Reihe in Berlin, und zahlreiche andere Shows und Veranstaltungen an Orten wie der Renaissance Society in Chicago und dem Kunstverein Köln. Symposien und neue Zeitschriften sind nur ein Symptom der Karriere, die das Thema derzeit in der akademischen Welt macht. Allein an drei deutschsprachigen Hochschulen sind Studiengänge geplant oder schon eingeführt.
Das Symposium reagiert aber nicht einfach nur auf diese Konjunktur, sondern will eine kritische und antagonistische Diskussion eröffnen, die sich nicht auf das Ermitteln der Ursachen dieses Phänomens und der sukzessiven Unterscheidung in dessen wünschenswerte und weniger wünschenswerte Anteile beschränken soll, sondern grundsätzlicher nach zwei zentralen Qualitäten von Sound fragen will, und diese in Bezug auf ihre ästhetisch-politischen und – wenn man einen Horizont abstecken will – utopischen Gehalte zur Debatte stellen.
1) Ungleichzeitigkeit
Dies wäre zum einen die Ungleichzeitigkeit des Sounds und der von ihm indizierten Quelle im Tonfilm und allen anderen von seiner Ontologie inspirierten Kunstformen. Diese Ungleichzeitigkeit, die man auch mit anderen Heterogenitäten im Verhältnis von Bild und Tonspur in Verbindung bringen kann, ist etwa noch für Adorno/Eisler (in „Komponieren für den Film“) die endgültige Besiegelung des illusionistischen Charakters des Films; heutige Filmemacher erkennen gerade in ihr die offene Stelle des Systems – darin scheinen sie oft die antizipatorische Dimension von Sound, auf den Utopisten der Musik (Bloch) oder des Klangs (Attali) 1 sich schon immer gerne berufen haben, wieder zu beleben. Die bleibt natürlich ambivalent: Überwältigungsästhetik nimmt hier ihren Ausgang, aber auch deren Irritation. Im Begriff der Ungleichzeitigkeit steckt womöglich aber auch eine begriffliche Chance, ausgehend von der Bild-Ton-Beziehung im Film, das zur Zeit überall neu ausgehandelte Verhältnis von Raum- und Zeitkünsten neu zu bestimmen; einen prinzipiellen Eingriff in die medialen Architekturen von Klang und Bild und deren in Bewegung geratene Industrie-Standards zu denken.
2) Unmittelbarkeit
Sounds verfügen wie die Fotografie - zumindest in der vordigitalen Epoche - über eine indexikale Beziehung zu ihren Quellen, die von manchen Theoretiker/innen gerne anthropologisch überformt wird Aus dieser Perspektive ergibt sich eine Vorstellung von Sound als der indexikalen Seite jeder hybriden Medienkunst, die von der Pop-Musik bis Medien-Performance das Versprechen auf eine unmittelbare, künstlerische Verbindung zur Wirklichkeit enthält, in die es in den verschiedensten Künsten ein enormes, wiederum oft ausgesprochen utopisch ausgerichtetes Investment gibt. Die „Direktübertragung aus der Wirklichkeit“ ist aber nicht nur technisch semiotisch gesprochen selbst längst eine Illusion – die digitale Klangaufzeichnung wäre in diesem Sinne nicht mehr „unmittelbar“ und nur bedingt als indexikal einzustufen – sie ist nur allzu oft Bestandteil einer rückwärtsgewandten Ideologie der Authentizität, die als Zug von Gegenwartskunst allenthalben zu beobachten ist.
3) Utopie
Eine mit dem Klanglichen verbundenen Utopie wird man geistesgeschichtlich in der Regel vor der Konjunktur des Sounds als von der Musik emanzipiertes Genre oder Gestaltungsmittel lokalisieren. Doch zieht sich von den utopischen Musikphilosophien auch ein eigentümlicher und oft wenig beachteter roter Faden zur aktuellen Sound-Kultur. Ein Schlüsselbegriff ist dabei jener des Traums. Dieser reicht von Ernst Blochs Vorstellung von "Tag-Träumen" über die Dream Music von Tony Conrad und LaMonte Young bis zu dem epochalen Album „Daydream Nation“ von Sonic Youth. So unterscheidet Bloch die von Freud analysierten "Nacht-Träume", die von verdrängten Erinnerungen und unbewussten Prozessen (dem "nicht-mehr-Bewussten") bestimmt werden, von "Tag-Träumen", unter denen er die Aktualisierung von Begehrensformen versteht, die auf dem "noch-nicht-Bewussten" beruhen, und die somit auf die - seiner Auffassung nach - den Künsten inhärenten "antizipatorischen" Kräfte verweisen 2. Nach Bloch irrt Freud in seiner Assoziierung des Unbewussten ausschliesslich mit der Vergangenheit, und er verschiebt Freuds Betonung des Unbewussten auf das "Vorbewusste", das Erinnerungen nicht vollständig der Verdrängung ausliefert, sondern in der Lage ist, diese ans Licht zu holen. Solche Begehrensformen, die auf dem "noch-nicht-Bewussten" beruhen, verweisen nach Blochs Ansicht auf die den Künsten inhärenten antizipatorischen Kräfte. Von Bloch bis Lyotard reicht die Tradition derer, die Kontingenz und Freiheit des Klangs gegen die Repräsentationslogik der Note verteidigen und die - mit Tony Conrad - die Autonomie der Klänge gegen deren Zähmung durch die pythagoräische Mathematik vertreten. Hat diese Position in der Verselbständigung des Sounds zu sich selbst gefunden oder ist sie fetischistisch einer Selbsttäuschung erlegen?
Zwischen diesen Polen soll zwei Tage diskutiert werden: am ersten über die Versprechen der Ungleichzeitigkeit, am zweiten über Utopie und Krise der sonischen Unmittelbarkeit, je mit Vertreter/innen verschiedener Künste:
Diese beiden Pole bilden die äußersten Koordinaten des Diskurses: der erste Teil des Symposiums addressiert das Versprechen der Ungleichzeitigkeit; der zweite Teil fokussiert auf eine Debatte über Utopie und Krise der sonischen Unmittelbarkeit. Eine Reihe von TheoretikerInnen und PraktikerInnen aus verschiedenen Feldern wird dabei zuerst vom Paradigma des Tonfilms ausgehen, danach von der Frage nach Klanginstallation und Pop-Musik.
1) Für eine weiterführende Diskussion von Blochs Terminologie der "Ungleichzeitigkeit", sowie des Begriffs der "Utopie" in der Filmmusik, siehe: "Out of the Past: Recontextualizing the Utopias of Film Music", von Caryl Flinn in: Strains of Utopia. Gender, Nostalgia and Hollywood Film Music. Princeton University Press. zurück...
2) In Bloch's discussion of dreams, for example, concern is apparent. Bloch divides dreams into two groups, those analyzed by Freud, the 'nightdreams' fueled by repression and memories of the 'no-longer-conscious,' and the 'daydreams,' or the dramatizations of wishes that are based on the 'not-yet-conscious.' " In: "Out of The Past: Recontextualizing the Utopias of Film Music", von Caryl Flinn, S.99. Publiziert in : Caryl Flinn, Strains of Utopia. Gender, Nostalgia and Hollywood Film Music. Princeton University Press. zurück...
programm top
29. - 31.5.2008
- Akademie der bildenden Künste
Schillerplatz 3, A-1010 Wien - Österreichischen Filmmuseum Wien
Augustinerstrasse 1, A-1010 Wien, Albertina Gebäude
-
Donnerstag 29. Mai 2008
Österreichisches Filmmuseum | Augustinerstraße 1 | A-1010 Wien
17:00 Uhr
- Begrüßung und Einführung:
Diedrich Diederichsen, Alexander Horwath und Constanze Ruhm
17:30 Uhr
- Western Recording (USA 2003, 10:30 min)
- Regie: Mathias Poledna
- Tom Holert – „The Site of Recording, Film, Pop and the Studio” (Vortrag)
19:10 Uhr
- Welcome to L.A. (USA 1976, 106 min)
- Regie: Alan Rudolph
21:15 Uhr
- Elephant (USA 2003, 81 min)
- Regie: Gus Van Sant
- In Anwesenheit der Komponistin Hildegard Westerkamp,
- mit anschließendem Publikumsgespräch.
- Begrüßung und Einführung:
-
Freitag 30. Mai 2008
Akademie der Bildenden Künste | Schillerplatz 3 | 1010 Wien | Raum M13
Promises of Non-Simultaneity
11:00 – 13:00 Uhr
- Michel Chion „Simultaneity and Synchronicity in Cinematic Audio-Visual Relations” Nora Alter „Sound Screens”
Utopia of Sound Politics
13:45 – 15:45 Uhr
- Christoph Cox „Sound and Utopia: Liberation, Resistance, Deterritorialization.” Terre Thaemlitz „Please tell my landlord not to expect future payments because Attali's theory of surplus-value-generating information economics only works if my home studio's rent and other use-values are zero.”
Utopia of Immediacy (Part 1): Naturalism and Anti-Naturalism in Sound Arts
16:00 – 18:00 Uhr
- Brandon LaBelle „Tongue-Tied” Christian Scheib „Speechless. The Utopia of Anti-Naturalism and its Restraints.”
Soundperformances
Akademie der Bildenden Künste | Atelierhaus | Lehàrgasse 6 | EG Nord
19:30 – 22:00 Uhr (Einlass ab 19.00)
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Michel Chion
Tu (Ausschnitt) (1977-96)
Variations (1990)
Dix-sept minutes (2000)
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Florian Hecker
Rearranged Playlist as Auditory Stream Segregation (2008)
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Terre Thaemlitz
Terre’s Confession (2007)
Trans-Portation (Scenes from Electroacoustic Radio Dramas) (2005)
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Samstag 31. Mai 2008
Akademie der Bildenden Künste | Schillerplatz 3 | 1010 Wien | Raum M13
Utopia of Immediacy (Part 2)
12:00 – 14:00 Uhr
- Hildegard Westerkamp „Soundtracks Everywhere” Barbara Flückiger „Back to the Roots? On Natural, Technical, and Virtual Sound Objects.”
Survival of Utopia in Sound Culture
14:45 – 16:45 Uhr
- Caryl Flinn „Film Music and the Absence of Emotion” Diedrich Diederichsen „The Index of Your Life - Pop-Songs, Interpellation, Nostalgia”
Abschlusspanel
17:00 - 18:00 Uhr
Impressum top
Ordinariat für Kunst und Digitale Medien - Akademie der bildenden Künste Wien
Lehargasse 6 - 8, A - 1060 Wien
Tel.:+43(1)58816-412, Fax: +43(1)58815-430
Kontakt: Axel Stockburger
Programmierung: Jens Alexander Ewald (520at.net)
Seitenbetreuung: Axel Stockburger
Inhalt: Mit dieser Webseite möchten wir aktuelle Informationen rund um das Symposium anbieten. Die Website soll über Termine und aktuelle Themen zum Programm informieren.
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